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Der Fall Ersa

Ein Roman vor Gericht. Über die neuen Grenzen der Literaturfreiheit

Leseprobe.

1.Kapitel

Der Roman Esra hat Rechtsgeschichte geschrieben. Diese Feststellung gilt unabhängig von literarischen Vorlieben oder Abneigungen. Ob einem das Buch ge- oder mißfällt, spielt in diesem Zusammenhang ebenso wenig eine Rolle wie die Frage, ob man den Schriftsteller Maxim Biller schätzt oder nicht.

Esra ist, nach Klaus Manns Mephisto, der zweite Roman in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, der zum Gegenstand einer höchstrichterlichen Abwägung zwischen der grundgesetzlich zugesicherten Kunstfreiheit und dem ebenfalls im Grundgesetz verankerten Persönlichkeitsrecht wurde. Dabei sind die Spielräume und Grenzen dessen neu definiert worden, was der Literatur hierzulande erlaubt und was ihr verboten ist.

Auch wenn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts knapp ausfiel und sie keineswegs alle Kritiker überzeugen konnte, gehört sie seither zu den festen Orientierungsgrößen der deutschen Rechtsprechung. Und sie wird es auf unabsehbare Zeit bleiben.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, 18,99 Euro

Um in einem Punkt gleich Klarheit zu schaffen: Auch der Autor dieses Buches hat zum Fall Esra seine Ansichten. Ich zähle mich zu den Gegnern der Entscheidung des Verfassungsgerichtes, denn in meinen Augen schränkt sie die Rechte der Literatur in unzulässiger Weise ein. Diese Überzeugung soll im Folgenden weder verschwiegen noch verleugnet werden. Objektivität ist in den hier verhandelten Angelegenheiten ohnehin nicht zu haben, weder bei der Beurteilung von Literatur noch bei der Bewertung von Rechtspositionen. Doch Meinungen und Gegenmeinungen zum Fall Esra gibt es im Überfluß, sie sind letztlich von eingeschränkter Bedeutung – zumal nachdem das Verfahren abgeschlossen ist. Viel wichtiger sind die Auswirkungen der neuen Rechtslage, die durch das Verfassungsgericht geschaffen wurde.

Folglich versteht sich dieser Essay zur Affäre um Esra nicht als ein nachgereichter Einspruch gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichts. Es geht vielmehr darum, das Verfahren gegen den Roman in den Grundzügen offen zu legen und seine Folgen für die deutsche Literatur der Gegenwart anzuzeigen. Es ist ausdrücklich nicht beabsichtigt, die immer etwas mühselige und rechthaberische Form der Urteilsschelte auf den Umfang eines Buches auszudehnen.

Vielmehr möchte ich einen in vielfacher Hinsicht lehrreichen Literaturstreit nachzeichnen, der im Gegensatz zu den gelegentlichen Debatten über ästhetische Fragen zu einem definitiven Ergebnis kam – zu einem Ergebnis, das für alle Schriftsteller im Geltungsbereich deutscher Gesetze verbindlich ist, sobald sie mit ihrer Arbeit in Konkurrenz zum Persönlichkeitsschutz geraten. Diese Konkurrenz sollte in ihren Konsequenzen nicht unterschätzt werden. Esra ist kein Einzelfall.

Im Jahr 2003, in dem Maxim Billers Roman erschien, verbot das Berliner Landgericht den Roman Meere von Alban Nicolai Herbst – ebenfalls wegen Verletzung des Persönlichkeitsschutzes. Dazu wurden aus den gleichen Gründen Klagen gegen die Romane Liebeserklärung von Michael Lentz und Das Handwerk des Tötens von Norbert Gstrein zumindest erwogen. Heute, vier Jahre nach dem Esra-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, beginnt sich abzuzeichnen, wie sehr diese Entscheidung die Situation der Schriftsteller hierzulande verändert hat. Allein im Jahr 2011 wurde gegen drei deutsche Romane der Vorwurf angeblicher Verletzungen des Persönlichkeitsrechts erhoben, nämlich gegen Last Exit Volksdorf von Tina Uebel, Christoph Maria Herbsts Ein Traum von einem Schiff und Das Da-Da-Da-Sein von Maik Brüggemeyer.

Wie immer man zur literarischen Qualität dieser sehr unterschiedlichen Bücher steht – schon die Häufung der Fälle belegt, in welchem Maße die Bereitschaft von Privatpersonen zugenommen hat, gegen literarische Werke vorzugehen. Umso wichtiger war der Fall Esra. Das Verfahren ging sowohl in der Frage des Buchverbots wie in der Frage nach einer Geldentschädigung für die Klägerinnen durch alle Instanzen bis zum Bundesgerichtshof und zwang schließlich die Verfassungsrichter zu einer klärenden Entscheidung. Sie konnten sich zwar nicht zur Freigabe des Romans durchringen, ließen aber nur die Ansprüche einer der beiden Klägerinnen gegen Esra gelten und wiesen die Klage der zweiten zurück. Wodurch die Richter nicht nur genauer definierten, was ihrer Ansicht nach der Literatur nunmehr verboten, sondern auch was der Literatur erlaubt sein soll und welche Rechte ihr von Klägern schwerlich bestritten werden können. Der Fall wird hier nicht einer systematischen rechtswissenschaftlichen Analyse unterzogen, das bleibt Aufgabe einer juristischen Fachdebatte. Dieser Essay schildert die Affäre vielmehr als ein Kapitel der jüngsten Literaturgeschichte mitsamt ihren publizistischen Weiterungen und Folgen für die Arbeit der Schriftsteller heute.

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